Introduction

Thursday, November 17, 2011

Luigi Russolo - L'Arte dei rumori



Auch ist der musikalische Ton in der qualitativen Vielfalt der Klangfarben zu beschränkt. Die kompliziertesten Orchester lassen sich auf vier oder fünf Instrumentenklassen zurückführen, die sich in der Klangfarbe des Tones unterscheiden: Streichinstrumente, Zupfinstrumente, Blechblasinstrumente, Holzblasinstrumente, Schlaginstrumente. So dass sich die moderne Musik mit der vergeblichen Anstrengung, neue klangfarbliche Spielarten zu schaffen, in diesem engen Kreis dreht.
Es ist nötig, aus diesem beschränkten Kreis von reinen Tönen auszubrechen und die unendliche Vielfalt der Geräusch-Töne zu erobern. Jedermann wird übrigens zugeben, dass jeder Ton eine Hülle von bereits bekannten und abgenutzten Empfindungen mit sich trägt, die den Hörer für Langeweile anfällig machen, ungeachtet der Anstrengungen aller Innovatoren unter den Musikern. Wir Futuristen haben die Harmonien der grossen Meister alle tief geliebt und genossen. Beethoven und Wagner haben während vieler Jahre unsere Nerven erschüttert und Herzen bewegt. Heute sind wir ihrer überdrüssig und geniessen es viel mehr, die Geräusche der Tram, der Explosionsmotoren, Wagen und schreienden Menschenmengen in unserer Vorstellung zu kombinieren, als beispielsweise die «Eroica» oder die «Pastorale» wiederzuhören. Wir können diesen riesigen Kraftapparat, den ein modernes Orchester darstellt, nicht anschauen, ohne angesichts seiner armseligen akustischen Ergebnisse die tiefste Enttäuschung zu empfinden. Kennt Ihr ein lächerlicheres Schauspiel als das von zwanzig Männern, die sich hartnäckig bemühen, das Miauen einer Violine zu verdoppeln? All dies wird natürlich die Melomanen zum Schreien bringen und vielleicht die einschläfernde Atmosphäre der Konzertsäle aufrütteln. Treten wir gemeinsam, als Futuristen, in eines dieser Spitäler der blutleeren Töne.

* Luigi Russolo »Intonarumori«

Der futuristische Maler Russolo baut nach «langen und ausdauernden Forschungen im Labor» die Intonarumori genannten mechanischen Apparate zur Erzeugung eines breiten Spektrums modulierter, rhythmischer Geräusche. Sie ähneln Maschinenklängen, die sie aber nicht imitativ reproduzieren, vielmehr soll das Geräusch als «abstraktes Material», von seinen maschinellen Ursprüngen befreit, nun vom Mensch beherrschbar sein, wie Russolo in seinem umfangreichen Manifest zur Geräuschkunst schreibt. Russolo schreibt selbst Stücke für die Intonarumori und entwickelt dazu eine neue, grafische Form der Partitur. Das erste Konzert für 18 Intonarumori, die in acht verschieden Klangtypen aufgeteilt sind, endet 1914 in Mailand mit ein grossen Skandal. Ebenfalls 1914 finden in London 12 Konzerte ein positiveres Echo. Nach dem 1. Weltkrieg werden dann auch Konzerte für Intonarumori zusammen mit einem klassischen Symphonie Orchester aufgeführt.

* Luigi Russolo

* 1885 in Portogruaro, Italien, gestorben 1947 in Cerro di Laveno am Lago Maggiore. Russolo studierte zunächst Musik, wandte sich 1909 aber der Malerei zu und lernte F. T. Marinetti, U. Boccioni und C. Carrà kennen, mit denen er 1910 das Manifest der futuristischen Malerei unterzeichnete. Russolo beteiligte sich an allen weiteren Manifesten, Aktionen und Ausstellungen der italienischen Futuristen. 1913 widmete er Ballila Pratella, dem Musiker der Gruppierung, das als Brief formulierte Manifest »L‘ arte dei rumori«, begann musikalische Forschungen und avancierte zum eigentlichen Musiker der Futuristen. Zusammen mit Ugo Piatti baute er eine Reihe verschiedener »intonarumori« (dt.: Geräuschtöner), die ab 1913 in Konzerten internationales Aufsehen erregten. 1915 trafen sich Strawinsky, Prokofjeff, Diaghilev und Massine in Marinettis Haus, um die neuartigen Instrumente zu begutachten. 1921 ließ sich Russolo das »rumoramonio« (dt.: Geräusch- harmonium) patentieren, 1925 ein enharmonisches Streichinstrument und 1931 ein enharmonisches Klavier. In der Folge Beschäftigung mit okkulten Wissenschaften, Niederschrift des philosophischen Werkes »Al di là della materia« (dt.: Jenseits der Materie) und 1942 Wiederaufnahme der Malerei.

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